«Mached di héndere före!» Gustav Kaufmann, Inhaber der reha löwen schönengrund ag, zum SmiCE-LEU 2023 an Marina Carobbio Guscetti RUBRIK Mit Marina Carobbio Guscetti ehrt die reha löwen schönengrund eine schweizweit bekannte Gesell- schaftspolitikerin, die als Trägerin des SmiCE LEU 2023 stellvertretend für all jene steht, die die Gleichbehandlung von sogenannten geistig Behinderten – geistig zu verstehen als Rechts- begriff, nicht medizinisch – bei der umfassenden Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben weiter vorangetrieben hat, diesmal vielleicht mit dem entscheidenden Schub. Im Juni 2021 reichte Carobbio Guscetti, damals noch Ständerätin des Kantons Tessin, heute Staats- rätin in der Tessiner Regierung, eine Motion ein, die den Bundesrat beauftragte, «einen Bericht vorzulegen, der die Massnahmen aufzeigt, die es braucht, damit Menschen mit einer geistigen Behinderung uneingeschränkt am öffentlichen Leben teilhaben können gemäss dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung, was auch das Recht und die Möglichkeit einschliesst, zu wählen und gewählt zu werden.» Im Oktober 2023 hat der Bundesrat geliefert. «Es hat gedauert», meinte Carobbio Guscetti anlässlich der Preisverleihung am 4. März dieses Jahres – dem «Tag danach» – in Bellinzona, und es war mangels Nachfrage des LEU nicht ein- deutig, ob sie damit die Nacht davor oder das Warten auf die bundesrät- liche Stellungnahme meinte. Es geht darum, dass nach Ar- tikel 136 Bundesverfassung alle von den politischen Rechten ausgeschlossen sind, die «wegen Geisteskrankheit oder Geistes- schwäche sind.» 14’000, schätzt der Bundesrat, ge- naue Zahlen gebe es nicht. Jedenfalls stehe die «gegenwärtige Regelung im Kon- flikt mit der Rechtsgleichheit und völkerrecht- lichen Verpflichtungen.» Gemeint ist mit letzte- rem die UN-Behindertenrechtskonvention. entmündigt Dass die Schweiz mit der Beseitigung dieser Dis- kriminierung nachhinkt, musste der Bundesrat nach seinem Rundgang durch die EU-Staaten fest- stellen, die solche – automatischen – Stimmrechts- ausschlüsse infolge Entmündigung nicht mehr kennen. Übrigens seit über zehn Jahren auch das Fürstentum Liechtenstein, EWR-Staat, nicht mehr. Somit ist die Schweiz umzingelt. Marina Carrobbio Guscetti erhofft sich durch den alles in allem bestärkenden Bericht des Bundes- rats auch Rückenwind für Initiativen auf kanto- naler Ebene. Da tut sich nämlich schon seit langem sehr viel bis gar nichts. In Führung liegt Genf, uneinholbar, Sieg sozusa- gen. 2020 stimmten die Berechtigten mit 74,8% JA-Anteil einer Verfassungsänderung zu. Diese verbietet der Justiz, urteilsunfähigen Personen die politischen Rechte zu entziehen. Rund 1200 Be- troffene haben dadurch ihre politischen Rechte zurückerhalten. Am anderen Ende der Skala stehen Freiburg (2020) und Thurgau (2022), in denen Motionen im Parlament scheiterten. Irgend- wo unterwegs sind Neuenburg, Waadt, Wallis (allerdings mit der Ablehnung der Verfassungs- revision im März dieses Jahres zurückgeworfen), Bern, beide Basel, Jura, Zug und Zürich. Das Geschehen von der Seitenlinie verfolgen derzeit Solothurn, Obwalden, Nidwalden, Uri, Tessin, Schwyz, Graubünden, Glarus, Schaffhausen, St.Gallen, Appenzell Innerrhoden und – Appenzell Aus- serrhoden. Ausserrhoden? LEULand? Soso. Das verdient historisch eine Fussnote, ist doch Marina Carobbio mit ihrem Vorstoss nicht die erste, die diesem Anliegen zum Durchbruch verhelfen wollte, sondern, weil erfolgreich, eine der letz- ten. Der erste war mit seiner Motion der Zürcher SP-Nationalrat Hansjörg Braunschweig – vor 37 Jahren. Mitunterzeichner war damals der Ausserrhoder Nationalrat Herbert Mäder. Darum kann es mit Schub von Carobbios warmem Fall- wind aus dem Süden für Ausserrhoden jetzt nur noch heissen: «Mached di héndere före!» Im Konflikt mit der Rechtsgleich- heit. LEU 01/2024 Auflösung November-Wette: 30’000. 15